„Fuck him!“
Ein Genre, vor dem ich beinahe ein bisschen Angst habe, ist jenes der Dokumentation. Jene, die ich gesehen habe, sind mir etwas gar düster und oftmals zu trocken, und mein Interesse für die Thematik, sofern nicht ohnehin vorhanden, nimmt mit zunehmender Laufzeit meist rapide ab. Der Sundance-Erfolg The Imposter dagegen ist dermassen fesselnd, dass man stellenweise meint, in einem waschechten Thriller zu sitzen, anstatt in einer Dokumentation. Meine Kritik zu diesem Film, nach dem Klick.
1994 verschwindet der 13-jährige Nicholas Barclay in Texas. Seine Familie hat die Hoffnung auf ein Wiedersehen beinahe aufgegeben, als Nicholas drei Jahre später in Spanien wieder auftaucht. Nur sieht der Junge überhaupt nicht aus, wie der verlorene Sohn, und ist auch deutlich älter als dieser, aber die Familie ist überzeugt, den verschwundenen Nicholas vor sich zu haben. Während Nicholas‘ Angehörige felsenfest auf diesem Urteil beharren, sind ein Detektiv, sowie zahlreiche Experten überzeugt, dass dieser junge Mann nie und nimmer Nicholas Barclay sein kann. Doch was sagt Nicholas – oder sollte ich sagen, Frédéric – selber dazu?
In knapp 100 Minuten erzählt Bart Layton packend, wie sich der französische Betrüger Frédéric Bourdin mal eben aus Spass eine neue Identität aneignet. Dabei ist man zugleich fassungslos über Bourdins Dreistigkeit, die naive Freude einer Familie für seine eigenen Zwecke auszunutzen, als auch fasziniert, wie es dem Identitätendieb gelingt, alle von seiner Glaubwürdigkeit zu überzeugen, wo doch soviel dagegen spricht. Und auf die gleiche Art und Weise, wie sich Nicholas‘ Familie in einer falschen Sicherheit wähnt, so glaubt man auch als Zuschauer, den Film zu erfassen – bis eine Aussage von Bourdin die ganze Geschichte urplötzlich in ein neues Licht rückt, und man den ganzen Streifen zu hinterfragen beginnt.
Leider lässt der Film zum Schluss dann doch so einiges unbeantwortet, was gerade in diesem Fall für eine ziemlich beklemmende Atmosphäre sorgt. Vielleicht ist das aber auch ein gewolltes Stilmittel, ist doch so ein offenes Ende konsequent, da es den Zuschauer, analog zur um das Schicksal des Sohnes bangenden Familie, mit einem mulmigen Gefühl aus dem Saal gehen lässt. Dennoch, etwas mehr Klarheit hätte dem Film nicht geschadet, im Gegenteil. So bleiben doch etwas viele Fragen unbeantwortet, deren Thematisierung den Film in seiner Authenzität nicht im Geringsten beeinträchtigt hätte.
Aber sei’s drum, dieser Kritikpunkt fällt letztlich nicht gross ins Gewicht, denn The Imposter bietet während der gesamten Laufzeit Hochspannung und spinnt eine filmreife (and I’m talking Hollywood) Erzählung, die den Zuschauer an so mancher Selbstverständlichkeit zweifeln lässt. Definitiv oscar-würdig, was Layton da auf die Leinwand bringt.
Das 8. Zurich Film Festival zeigt The Imposter am 21. September um 18.30 Uhr (Arena 8) und am 25. September um 15.00 Uhr (Arena 9).