„Einen entscheidenden Augenblick für Disney“ nannte Matt Cain, Herausgeber des Gay-Magazins Attitude die Entscheidung des Studios, der von Josh Gad verkörperten Nebenfigur LeFou in der Realverfilmung von Beauty and the Beast einen schwulen Subplot zu verleihen. Tatsächlich rieb man sich in Filmkreisen die Augen, als man las, dass sich ausgerechnet der erzkonservative Mickey-Mouse-Konzern plötzlich offen für Homosexualität oder generell LGBT-Themen ausspricht.
Der letztjährige Zootopia ist zwar ein klares Statement für Diversität – aber in erster Linie in Bezug auf die Rassenthematik, Fragen zu LGBT-Themen lässt der Film aussen vor. Wenn es um diese Themen geht, dann tat sich Disney schon immer eher schwer. Immerhin: Erste Andeutungen in diese Richtung gab es schon in Frozen. Wer wollte, konnte in Elsas Angst, zu ihren Kräften zu stehen, eine entsprechende Metapher für ein Coming Out erahnen – aber eben nur erahnen. Ein klares Statement in dieser Frage war von dem Studio, dessen Chefs die Trump-Präsidentschaft für eine gute Sache halten, auch gar nicht zu erwarten. Schön also, dass uns Disney mit seiner Offenheit und Toleranz überrascht und Mut zeigt, oder?
Leider nicht.
Meiner Meinung nach ist dieser LeFou-Moment sogar das komplette Gegenteil dessen, was Disney behauptet, damit erreichen zu wollen.
Bill Condon, der Regisseur des Remakes erzählt im grossen Attitude-Artikel, dass LeFou „verwirrt ist darüber, was er möchte“. Das klingt noch nicht sehr konkret – im gleichen Ton geht es weiter. Condon beschreibt den kleinen, dicken Sidekick als “jemand, der erkennt, dass er gewisse Gefühle hat.“ Der Schlüsselmoment für LeFou in Beauty and the Beast, die für den Regisseur alles klar macht, ist eine Szene am Schluss, in der er mit einem anderen Mann tanzt und ihm einen eindringlichen Blick zuwirft. Als „schönen, exklusiv schwulen Moment“ bezeichnet der Regisseur diese Szene – und genau da liegt mein Problem mit dieser Rhetorik: Ein eindringlicher Blick macht noch keine Homosexualität, genauso wie man vom Küssen nicht schwanger werden kann.
Wenn Disney möchte, dass es in ihrem Film einen homosexuellen Charakter hat, dann sollen sie ihn gefälligst auch so inszenieren. Wenn ich erst durch den erweiterten Kontext (also in diesem Fall durch einen Beitrag in einem Magazin) erfahre, dass LeFou schwul ist, dann ist das bestenfalls Fanfiction. As far as I’m concerned, gibt es keinen Grund für mich zu glauben, dass LeFou homosexuell ist – genausowenig wie ich im Film das Gefühl bekomme, dass der Grundschullehrer oder der Bäcker schwul sein könnten.
„Aber Owley, warum wehrst du dich dagegen?“
„Dann ist es eben subtil, tut doch keinem weh!“
„Lieber ein angedeuteter Moment, als gar keiner!“
Natürlich finde ich jeden Schritt in die richtige Richtung begrüssenswert. Und ich bin auch nicht extrem überrascht, dass Disney noch keine grossen Schritte wagt. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass dieser LeFou-Moment aus den falschen Beweggründen geschah – und damit die gesamte LGBT-Bewegung verhöhnt.
Oder anders formuliert: Was passiert, wenn sich ein Familienkonzern wie Disney offen für Homosexualität ausspricht? Richtig, in konservativen Kreisen folgt ein massiver Shitstorm. So auch geschehen: Gewisse Kinos beschlossen, den Film nicht zu zeigen. In Russland wurde Beauty and the Beast sogar erst ab 16 freigegeben. Wäre das passiert, wenn Bill Condon nicht bewusst auf diesen „Moment“ hingewiesen hätte? Wohl kaum.
Es ist nicht so, als ob Bill Condon zufälligerweise in einem kleinen Interview nebenbei erzählt hätte, dass LeFou vielleicht schwul sein könnte. Nein, dieses „Coming Out“ geschah in einem Gay-Magazin. Das Beauty and the Beast – und speziell die Homosexualität von LeFou – zur Coverstory hatte. Und das den Film mit „Disney’s gayest film ever“ anpries. Deutlicher geht’s nicht. Das ist pures Marketing, ein bewusster Schachzug, der garantiert Reaktionen folgen lässt. Ganz nach dem Motto „any press is good press“. Dafür verleiht man mal eben, ohne grossen erzählerischen Aufwand – und auch ohne vor den konservativen Anlegern das Gesicht zu verlieren, weil es ja nichts Eindeutiges ist – einer Nebenfigur eine angebliche sexuelle Orientierung, und fertig ist der Skandal. Hässlicher geht’s kaum.
Disney in diesem Kontext also als mutig oder progressiv darzustellen, ist blanker Hohn. Wenn überhaupt, dann ist dieser Missbrauch ernstgemeinter Anliegen und die Verhöhnung des Rufs nach mehr sexueller Diversität in Blockbustern ein Rückschritt. Und ein Zeichen, wie weit das Studio noch davon entfernt ist, solche wichtigen Themen respektvoll und würdig umzusetzen.
Sollte es Disney irgendwann gelingen, seine alten und verstaubten Wertvorstellungen abzuschütteln, so wird bestimmt nicht Beauty and the Beast der Film sein, der diese Wende eingeläutet hat.