Tag 1: Donnerstag, 28. September 2017
Heute geht also die dreizehnte Ausgabe des Zurich Film Festival los, für mich persönlich wird es bereits die sechste Runde sein. Und diesmal, so habe ich es mir vorgenommen, will ich mir auch nichts entgehen lassen. Die Organisatoren haben die Zahl der Pressevorführungen noch einmal massiv aufgestockt, was es für uns Medienschaffende einfacher macht, die Filme anzusehen.
Der Vorteil von Pressevorführungen ist, dass man einen Platz im Kino auf sicher hat. Will man die Filme hingegen regulär schauen, so muss man sich jeweils am Vortag um eines der begrenzten Pressetickets bemühen. Und seit einigen Jahren gibt es für die Galapremieren, also die Vorstellungen der «grossen Filme» kein Pressekontingent mehr. Am Anfang hiess das vielmals, dass man sich ein Ticket kaufen musste, oder den Film eben nicht schauen konnte. Doch diesbezüglich kann man dem Festival für seine dreizehnte Ausgabe wirklich keinen Vorwurf mehr machen – kaum ein Film am ZFF hat heuer keine Pressevorführung bekommen.
Mein Zurich Film Festival 2017 beginnt gleich mit drei solcher Pressevorführungen. Der erste davon ist der Eröffnungsfilm des Festivals: «Borg/McEnroe» (3/5) von Janus Metz. Ein Sportbiopic, dem man keine grossen Vorwürfe machen kann, das aber auch nicht lange in Erinnerung bleiben dürfte. Zu belanglos ist die Thematik (Tennis), zu konventionell die Bilder, zu durchschnittlich das Spiel von Sverrir Gudnason und Shia LaBeouf. Kein schlechter Film, aber das Festival kann nur noch besser werden. Und das wird es dann auch: Mit «The Glass Castle» (4/5) folgt weniger leicht verdauliche Kost. Der Zweistünder von Destin Daniel Cretton erzählt die Geschichte einer Familie in den Südstaaten inmitten von Luftschlössern und Alkoholismus. Woody Harrelson ist in der Rolle des trinksüchtigen Familienoberhaupts erwartungsgemäss in seinem Element, sein nuanciertes Spiel zwischen Schmerz und Verletzlichkeit ist berührend. Für mich eine erste positive Überraschung.
Aus dem Glass Castle pilgere ich ins Glasshouse, um meine Akkreditierung abzuholen. Das Festivalzentrum mit seinen gläsernen Fronten mag schön anzuschauen sein – wer hinter diesen grossen Fensterscheiben einmal eine halbe Stunde für seinen Pass angestanden hat und entsprechend gebrutzelt wurde, findet man es nur noch halb so toll. Eigentlich ist eine halbe Stunde anstehen für einen Pass auch ein Witz, aber wir sind ja schliesslich am Zurich Film Festival und offenbar ist um 12 Uhr, als das Pressedesk seine Türen öffnete gleich einmal der Server abgestürzt. Vor und hinter mir empören sich Menschen über das unorganisierte Pressedesk, ich habe es mittlerweile aufgegeben, mich drüber zu ärgern.
Mein Plan ist es, ein Ticket für «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» am Abend zu ergattern. Würde ich diesen nämlich in seiner regulären Vorstellung sehen, könnte ich auf die Pressevorführung am Nachmittag verzichten und stattdessen «Euphoria» mit Alicia Vikander schauen, der gleichzeitig läuft. Doch das Pressekontingent ist erschöpft, und die Vorstellung ausverkauft. Da ich nicht wirklich eine Ahnung habe, worum es im Vikander-Film geht, mich hingegen seit Monaten auf «Billboards» freue, ist schnell entschieden, welchen der beiden ich sausen lasse. Immerhin eine gute Sache hat mein Besuch am Pressedesk: Die jährliche Schachtel Pralinen hat auch dieses Jahr wieder den Weg zu mir gefunden.
«Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» (4/5) ist bissig geschrieben, wie man es sich von Martin McDonagh gewohnt ist. Der Ire erzählt mit seinem dritten Film die Geschichte eines unaufgklärten Vergewaltigungsmordes, den die Mutter des Opfers wieder neu aufrollt. Der Regisseur von «In Bruges» ist bekannt dafür, dass er Ernst und Humor gut balancieren kann, in diesem Film gelingt ihm das in Anbetracht der schweren Thematik aber besonders gut. Mit Frances McDormand, Woody Harrelson und Sam Rockwell ist der Film zudem grossartig besetzt. Nicht ohne Grund wird der Film bereits als Kandidat für die Oscar-Season gehandelt.
Es ist fengs sechs Uhr als ich das Kino verlasse und den Tag für beendet erkläre. An anderen ZFF-Tagen würde es um diese Zeit erst richtig losgehen, aber das Programm des weiteren Abends überzeugt mich nicht so sehr, als dass ich jetzt noch unbedingt bleiben möchte. Ich begebe mich nach Hause und freue mich auf einen heissen Abend mit meiner Pralinenschachtel.