Tag 8: Donnerstag, 5. Oktober 2017
Ein bisschen übermüdet mache ich mich heute, am achten Tag des Zurich Film Festival auf den Weg in die Innenstadt. Gestern wurde es ein bisschen länger als geplant und zusammen mit meinen wenigen Schlafstunden kommt hier ordentlich was an Müdigkeit zusammen. Dabei muss ich jetzt sehr wach sein, denn auf dem Programm steht der vielversprechende «The Killing of a Sacred Deer» (5/5) von Yorgos Lanthimos. Mit seinem letzten Film «The Lobster» konnte ich zwar nicht viel anfangen, aber dieser Film haut mich komplett aus den Socken. Der Thriller mit Colin Farrell und Nicole Kidman erzählt von einem Chirurgen, der völlig unverhofft von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Schnell wird klar: Er muss eine schwerwiegende Entscheidung treffen, wenn er seine Familie retten will. Lanthimos erzählt in bester Hitchcock-Manier: Jede Szene ist unangenehm, jede Einstellung störend, jede Dialogzeile beunruhigend. Ich bin begeistert.
Wie schnell aus Glück Elend werden kann, zeigt hingegen der nächste Film, oder vielmehr die Sichtung davon: «The Ballad of Lefty Brown» (0/5) heisst der Western mit Bill Pullman, der für mich die erste grosse Nullnummer des Festivals ist. Offenbar haben meine Kritikerkollegen sogar noch weniger Geduld als ich, denn bereits nach den ersten 20 Minuten verlässt rund ein Drittel der anwesenden Journalisten das Kino. Ganz so streng bin ich nicht: Ich versuche, dem Cowboy-Film über einen trotteligen Stiefelhelden, der einen Mord aufdecken will, noch eine Chance zu geben – aber vergebens. «The Ballad of Lefty Brown» ist kein schrecklicher Film, aber mir will beim besten Willen nichts einfallen, was an diesem Western gut sein soll. Die hölzernen Darsteller spielen von ungenügend bis schlecht und die klischierte Story ist vorhersehbar. Schade um Bill Pullman, der damit seiner Karriere (oder dem was davon noch übrig ist) einen weiteren Rückschlag verpasst.
Ich treffe mich auf einen Kaffee auf dem Sechseläutenplatz mit meiner Freundin, wo wir die letzten sommerlichen oder die ersten herbstlichen Sonnenstrahlen geniessen. Oder zumindest versuchen wir das, denn es dauert nicht lange, bis sich zwei Strassenkünstler vor unserer Nase einnisten und gegenseitig zu übertönen versuchen. Am Abend habe ich noch den Filmmusikwettbewerb eingeplant, doch die Zeit davor reicht noch gut, um mir einen Film anzusehen. Nach mehreren Empfehlungen fällt die Wahl auf «Pop Aye» (5/5) einen singapurianisch-thailändischen Road-Movie, der auch als Kandidat des Stadtstaates ins Oscar-Rennen geht. Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein in die Jahre gekommener Architekt beschliesst eines Tages mit einem Elefanten, den er einem Strassenhändler abkauft, Reissaus zu nehmen. Sicher, der Film deckt jeden erdenklichen Plot Point des Genres ab, aber Kirsten Tans Langfilmdebüt macht das so liebevoll und geschickt, dass man ihm nicht wirklich böse ist.
Als letzter Programmpunkt des Tages steht, wie gesagt der Filmmusikwettbewerb an. Das ist ein Rahmen-Event des ZFF, den es zu loben gilt. Publikumswirksam verpackt als Filmmusik-Konzertabend des Tonhalle-Orchesters soll diese Veranstaltung Komponisten ins Rampenlicht rücken. Die Aufgabe dabei ist, einen vorgegebenen Kurzfilm zu vertonen. Fünf Finalisten werden an die Veranstaltung eingeladen, wo das Tonhalle-Orchester im ersten Block des Abends ihre Musik live aufführt. Das ist auch für ein breites Publikum sehr spannend, sieht man doch sehr gut, wie unterschiedlich man an eine solche Arbeit herangehen kann. Ein bisschen unglücklich ist die Tatsache, dass das Zurich Film Festival diesen Abend moderieren lässt und so die Musik selber immer wieder in den Hintergrund drängt. Aber eben – ohne grosse Selbstinszenierung geht bei diesem Festival offenbar nichts.
Nachdem der Gewinner gekürt wurde, präsentiert das Orchester im zweiten Teil des Konzertabends ein spezielles Konzertprogramm. Letztes Jahr wurden Melodien aus Science-Fiction gespielt, heuer ist das Motto «James Bond». Die Auswahl der Agenten-Themen ist zwar ein bisschen Thomas-Newman-lastig, aber das was wir zu hören bekommen macht Spass. Bei einem Bier lassen wir den musikalischen Abend ausklingen, und dann gehe ich auch schon auf den Zug. Schliesslich will ich zumindest so tun, als ob ich ein bisschen Schlaf bekomme – richtig ausschlafen werde ich auch morgen nicht können.