Tag 6: Dienstag, 2. Oktober 2018
Die erste Festivalhälfte ist bereits durch, 19 Filme habe ich hinter mir. Doch noch habe ich nicht genug, auch in der zweiten Halbzeit will ich mir noch so einige Filme anschauen. Alleine für heute habe ich mir fünf Filme vorgenommen. Los geht es mit dem schwarzweiss gefilmten «Cold War» (2/5) von Pawel Pawlikowski, der im Polen der Nachkriegszeit spielt und von der Liebesbeziehung zwischen einem Musiklehrer und einer Sängerin erzählt. Obschon es sich bei der Geschichte um eine Persönliche handelt (der Film basiert lose auf der Geschichte von Pawlikowskis Eltern) bleiben uns die Figuren fremd, und ihr Handeln irrational. So ist «Cold War» nicht mehr als eine weitere tragische Liebesgeschichte.
Rein rechnerisch sollte es eigentlich drinliegen, von dieser Pressevorführung am einen Ende der Stadt zur nächsten Vorstellung von «First Man» am anderen Ende der Stadt zu kommen, doch ein bisschen stressig wird es am Schluss dann doch. Im Gegensatz zum besser organisierten Vorjahr hat es das Zurich Film Festival in diesem Jahr wieder einmal geschafft, einen Pressevorführungs-Zeitplan aufzustellen, der so manche «Sophie’s Choice» bereithält – oder zumindest für viel Hektik und wenig Zeit zwischen den Filmen sorgt. Immerhin: Für «First Man» (4/5) reicht es dann doch rechtzeitig.
Damien Chazelle, der bisher alle seine Filme am Festival präsentiert hat, erzählt in seiner zweiten Zusammenarbeit mit Hauptdarsteller Ryan Gosling die Geschichte des ersten Mannes auf dem Mond. Wunderschön gefilmt und stark besetzt ist dieses Neil Armstrong-Biopic eine Wucht, selbst wenn die Story zwischendurch etwas gehetzt wirkt und die Nebenfiguren etwas gar blass bleiben. Doch nur schon für seine letzte Stunde ist «First Man» ein Muss für jeden Filmfan.
Ich nutze die kurze Pause bis zum nächsten Film für einen Unterbruch vom Festival und treffe mich mit Olivia zum Kaffee. Es tut gut, zur Abwechslung mal über etwas anderes als Filme reden zu können. So fühlt sich also ein normaler Alltag an. Habe ich fast schon vergessen.
Als Nächstes steht meine erste Reprise des Festivals an. Da Donald Sutherland zu Gast ist (bzw. war), zeigt das Filmpodium alte Filme mit ihm – heute ist «The Dirty Dozen» (3/5) dran, ein eher schlecht gealterter Kriegsfilm irgendwo zwischen «The Seven Samurai» und «Inglourious Basterds». Robert Aldrichs Film ist zwar unbeschwert inszeniert und mit Lee Marvin verfügt «The Dirty Dozen» auch über einen starken Protagonisten – nichtsdestotrotz ist der Film einen ganzen Akt zu lang geraten.
Als Nächstes muss ich ein Ticketproblem regeln. Ich habe für eine Vorstellung am nächsten Tag für meine Freundin und mich Tickets gekauft, die ich aber blöderweise zuhause vergessen habe. Und da gehe ich für die nächste Zeit auch gar nicht mehr hin. Mit guten Fotos der Tickets ausgerüstet begebe ich mich also zum Ticketdesk, in der Hoffnung, dass sie diese für mich noch einmal ausdrucken können. Doch einmal mehr zeigt sich das Festival von seiner komplizierten Seite. «Das können wir leider nicht tun», heisst es. Und so muss ich nun eine Lösung für dieses Problem finden. Ich beschliesse heute Abend den letzten Film sausen zu lassen um dafür nach Luzern zu fahren, und dort die Tickets zu holen.
Dadurch steht für mich nur noch ein Film an: «Loro» von Paolo Sorrentino, auf den ich mich schon seit Anfang des Festivals freue. Auf dem Weg ins Kino merke ich jedoch, dass ich am falschen Ort bin. Der Film läuft nicht wie ich dooferweise glaubte im Riffraff, sondern im Kino Arena am andern Ende der Stadt. Und ein Blick auf die Uhr verrät: Das schaffst du nicht mehr. Ich beschliesse, es doch zu versuchen und allenfalls halt die ersten zehn Minuten zu verpassen (der Film hat ja noch 140 weitere) und nerve mich ein bisschen über meine eigene Dummheit. Doch als ich zum Kino komme, verfliegt der Ärger schnell: Der Film läuft noch nicht. Zum ersten Mal dieses Jahr erwische ich eine Vorstellung, die nicht pünktlich beginnt, und ich könnte darüber nicht glücklicher sein.
Nicht völlig glücklich macht mich «Loro» (4/5). Paolo Sorrentinos wunderschön gefilmte Satire über einen gewissen ehemaligen italienischen Premierminister ist mit Toni Servillo (in einer Dopperolle) zwar top besetzt, kann aber seine 150 Minuten (die für die Ein-Film-Version von 210 Minuten heruntergekürzt wurden!) nicht rechtfertigen. Die Story ist schleppend und repetitiv – da helfen Sorrentino auch haufenweise nackte Frauen und Bunga Bunga-Spektakel nicht weiter.