Dieser Text ist erstmals am 21. November 2019 in der Online-Ausgabe der Annabelle erschienen.
Ich wurde verlassen. Vor nicht allzu langer Zeit, und völlig unerwartet. Die Trennung kam an einem Punkt, an dem wir grad damit begonnen hatten, zu zweit Pläne zu schmieden, uns allmählich eine gemeinsame Zukunft auszumalen. Die Vorstellung, zusammen eine Familie zu gründen – plötzlich nicht mehr so absurd. Jetzt, im Nachhinein denke ich, dass vielleicht nur ich mit diesen Gedanken gespielt habe. Oder zumindest war für mich alles viel konkreter – und jetzt stand ich ganz alleine da und las die Scherben zusammen. Meine Welt stand plötzlich Kopf, und ich versuchte verzweifelt, irgendwie auf den Beinen zu bleiben – hoffnungslos. Noch nie hatte ich so intensiv geliebt, entsprechend hatte ich auch noch nie so intensiv gelitten. Obwohl ich schon früher Trennungen und Schicksalsschläge überwinden musste, war nichts vergleichbar mit diesem unbändigen Schmerz, der nun in mein Leben trat. Es war, als ob meine zuvor noch bunte und heile Welt in einen hässlichen Grauton getaucht wurde. Wenn mir Freunde rieten, jetzt Dinge zu unternehmen, die mir Spass machen, so wusste ich beim besten Willen nicht, was das sein könnte. Nichts ergab mehr einen Sinn.
Gleichzeitig stellte ich fasziniert fest, wie alltäglich so ein Erlebnis eigentlich ist. Und wie unspektakulär etwas, das für mich so eindringlich ist, für andere sein kann. Denn während für mich eine Welt zusammenbrach, schien sie sich für alle anderen ganz normal weiter zu drehen. Der Alltag nahm seinen Lauf, der Bus war morgens so überfüllt wie am Tag davor und der Brexit war noch immer nicht vollzogen. Zu merken, dass mein Drama auf das Weltgeschehen keinerlei Einfluss hatte, tat offen gesagt schon ein bisschen weh, es nahm dem Ganzen aber auch die Macht. Das Wissen um die Alltäglichkeit meiner Situation gab mir Hoffnung, dass sich, auch wenn es mir im Augenblick unwahrscheinlich erschien, meine Gefühle irgendwann ändern könnten. Und ich wieder – man möge mir an dieser Stelle den Kitsch verzeihen – glücklich sein könne.
Ich versuchte darüber zu reden, aber auch das fiel mir schwer. Ich merkte: Mit Verlassenen tut sich die Gesellschaft schwer. Man will nichts Falsches sagen, klar. Und doch kam mir der Umgang so ungelenk vor. Ich suchte ja gar nicht nach Weisheiten oder einer Lösung. Ich wollte den Schmerz nicht weggeredet bekommen, es ging mir vielmehr darum, einfach mal erzählen zu können. Doch genau das geht meiner Meinung nach oft vergessen. In mir kämpften plötzlich so viele verschiedene Emotionen darum, gehört zu werden. Die Wut, die Trauer, die Einsamkeit und auch die Liebe wechselten sich im Minutentakt ab. Und ich? Ich wollte mir sie einfach nur von der Seele schreien. Oder von der Seele zeichnen.
Ich bin Künstler, das Zeichnen ist nicht nur mein Beruf, es ist auch meine Art, mich auszudrücken. Und so nahm ich eines Abends den Stift in die Hand und erzählte in einem Comic, was mir widerfahren war, und wie es mir damit ging. Ich merkte, dass es mir guttat, zu erzählen. So entstanden immer mehr kurze Geschichten über meine Versuche, wieder auf die Beine zu kommen. Das Zeichnen war mein Weg, schrittweise die Kontrolle darüber, was mit mir passiert, zurückzuerlangen und zu entscheiden, wie meine Geschichte erzählt wird. Was darin vorkommt – und was nicht. Ich entschied, meine Comics auf Instagram zu teilen. Warum ich das tat, kann ich nicht abschliessend sagen. Ich weiss nur, dass es sich richtig anfühlte, offen mit meinen Emotionen umzugehen – erst Recht auf Instagram, dieser Plattform, auf der man sich stets erfolgreich und schön zeigt, glücklich und unbeschwert.
Wenn man sich exponiert, lassen die Reaktionen nicht lang auf sich warten. Es gab viele positive und ermutigende Stimmen. Der Schwall der Liebe, der über mich hereinbrach, tat einfach nur gut. Hin und wieder hörte ich von Leuten, die sich von meinen Geschichten verstanden fühlten oder die fanden, dass sie diese Erzählungen berührten. Das bestärkte mich. Es gab es aber auch jene Stimmen, die meine Art, offen mit meinem Trennungsschmerz umzugehen, kritisierten. Heftige, fast schon vorwurfsvolle Reaktionen, die mich bisweilen auch meine Arbeit hinterfragen liessen. Ich habe schliesslich kein Interesse daran, jemanden zu verletzen oder Mitleid zu erzwingen. Am meisten fiel mir allerdings auf, wie oft ich gefragt wurde, ob eine solche Geschichte wirklich an die Öffentlichkeit gehöre und ob man sich denn wirklich so verletzbar zeigen dürfe. Mir fiel auf, dass mich das vor allem Männer fragten, ich weiss nicht, woran das liegt. Denn für mich ist das auch als Mann eine Frage, die ich mir nie gestellt habe. Ich habe nicht gelernt, Emotionen in mich hineinzufressen – und das will ich auch gar nicht erst lernen. Für mich ist ein ehrlicher Umgang mit Gefühlen enorm wichtig. Nicht anderer Leute wegen, sondern für mich selber. Vielleicht stehe ich damit schräg in der Landschaft. Damit muss ich leben können, denn ich will mich davon nicht abhalten lassen, auf mich selber Rücksicht zu nehmen. Und wenn es im Augenblick eine Person gibt, die weiss, was mir gut tut, dann bin das ich.