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Owley am ZFF 2018: Die Letzten

Tag 10 & 11: Samstag, 6. Oktober & Sonntag, 7. Oktober 2018

Mein diesjähriges Zurich Film Festival ist grösstenteils bereist durch, für die letzten beiden Festivaltage stehen nur noch zwei Filme an, was einerseits daran liegt, dass ich meinen Samstagabend verplant habe, aber auch, dass ich schon alles gesehen habe, was ich sehen wollte.

Der erste dieser beiden Filme steht am Samstag auf dem Programm, im Anschluss an meine zweitletzte Moderation. Dazwischen bleibt noch etwas Zeit, in der ich den warmen Nachmittag geniesse, Kaffee trinke und mit Freunden plaudere. So muss das sein. Auf den Film, der ansteht habe ich mich schon eine Weile gefreut: «Matangi/Maya/M.I.A.» (4/5) heisst der Dokumentarfilm über die britische Musikerin M.I.A. von Steve Loveridge, der versucht, diese ebenso kontroverse wie faszinierende Persönlichkeit zu erfassen. Loveridge setzt dabei unter anderem auch auf Archivmaterial von M.I.A. selber – eine der grössten Stärken dieses Films. Nur schade, dass der Regisseur – ein langjähriger Freund der Musikerin – in seinem Werk eine komplett unkritische, ja bisweilen glorifizierende Haltung einnimmt.

Am Sonntag darf ich zum ersten Mal ein bisschen ausschlafen, hurra! Nach meiner letzten Moderation des diesjährigen ZFF steht auch mein letzter Film auf dem Programm. Ich muss zwar sagen, dass ich mir schon ein bisschen Sorgen gemacht habe, als ich gesehen habe, dass Sven dem Film gestern auf Letterboxd nur einen Stern gegeben hat. Die österreichische Komödie bestätigt leider sämtliche Bedenken – das war nichts. In «Womit haben wir das verdient?» (1/5) eröffnet eine pubertierende Tochter ihren Eltern, dass sie zum Islam konvertiert ist. Islamophobie, Feminismus, Genderwahn: Eva Spreitzhofer lässt in ihrem Regiedebüt keine Pointe aus – schade nur, dass sie alle scheisse sind. Statt einem Versuch, auf intelligente Weise Kulturen aufeinanderprallen zu lassen, bietet «Womit haben wir das verdient?» haufenweise plumpe Klischees der Schweiger’schen Sorte. Dieser letzte Film des ZFF ist wirklich das Letzte.

Owley am ZFF 2018: Off ZFF

Tag 9: Freitag, 5. Oktober 2018

Johnny Depp! OMG! Das Zurich Film Festival steht heute ganz im Zeichen des überbewertetsten Piraten der Welt, der am Abend über den Teppich schreiten und eine Master Class geben wird. Die Tickets dafür waren innert zehn Minuten ausverkauft, Kostenpunkt: 90 Franken. Die Dreistigkeit, die die Köpfe hinter diesem Festival bisweilen an den Tag legen, überrascht mich immer wieder. Aber dann wiederum bestimmt die Nachfrage den Preis, und offensichtlich rechtfertigt sie diesen.

Johnny ist mir egal, und der ganze Rummel ebenso. Ich habe auch keine Stars getroffen, nur Joel Basman bin ich begegnet, und der ist – bei all seinem Talent, das er dieses Jahr wiederholt unter Beweis gestellt hat – kein wirklicher Star. Ich nutze die Zeit lieber, um Filme zu schauen und Leute kennenzulernen. Ein bisschen Johnny Depp gibt es heute aber doch noch, denn als Erstes steht der neue Film des Schauspielers auf dem Programm, den er ans ZFF mitgebracht hat.

«Richard Says Goodbye» (2/5) heisst das Drama, das Johnny als Literaturprofessor zeigt, der seine Krebsdiagnose zu verarbeiten versucht. Der Film wurde mir als eine Art «The Bucket List» angepriesen, was aber aus diversen Gründen überhaupt nicht zutrifft. Einer davon ist, dass das Freeman-Nicholson-Vehikel effektiv witzig ist, dieser Film hingegen überhaupt nicht. Das halbgare und wirre Drehbuch hätte einen starken Darsteller gebraucht, der daraus noch einen vernünftigen Film hätte machen können – stattdessen gab es Johnny Depp. Der Schauspieler nuschelt sich derart lustlos durch diesen Film, dass er wohl sämtlichen Träumen eines zweiten Karrierefrühlings ein Ende setzt.

Durch einen Wechsel im Pressevorführungsprogramm steht nun im unmittelbaren Anschluss «Der Vorname» (4/5) von Sönke Wortmann an, den ich ansonsten verpasst hätte. Ich habe das französische Original dieses Kammerspiels leider nicht gesehen, aber habe gehört, dass es gut sein soll. Immerhin: Das Remake ist witzig und lässt während seiner gesamten 90 Minuten keine einzige Pointe aus. Da verzeiht man dem Film auch gerne seinen fehlenden Mut (etwa wenn Christoph Maria Herbst in der Rolle von Christoph Maria Herbst besetzt wird) und die gar zahme Auflösung. Für gute Unterhaltung sorgt «Der Vorname» aber auch so auf jeden Fall.

Ohne Pause geht es weiter in meinen zweiten Dokumentarfilm des Festivals: «Putin’s Witnesses» (4/5) von Vitaly Mansky. Der frühere Hausdokumentarist des russischen Präsidenten war zur Jahrtausendwende, also dem Beginn von Putins Herrschaft, ein steter Begleiter des mittlerweile mächtigsten Manns der Welt. Der kritische Dokumentarfilm ist auch ein Eingeständnis zur eigenen Rolle von Mansky, der wesentlich dazu beigetragen haben dürfte, den Mythos Putin in den Köpfen des russischen Volkes zu verankern.

Als Menschen erlebt man den Präsidenten in «Putin’s Witnesses» nicht – dafür stellt sich Putin zu geschickt an. Es ist stattdessen sein Vorgänger Boris Yeltsin, den Mansky ebenfalls begleitet hat, der uns hinter die Fassade blicken lässt. Innert kürzester Zeit wird Yeltsin vom Königsmacher zur Randnotiz der Geschichte degradiert – am Ende bleibt nur ein gebrochener alter Mann.

Mein nächster Film ist meine erste Vorstellung abseits des ZFF. «A Star is Born» (2/5) wurde Anfang Woche noch am Festival gezeigt und ist inzwischen bereits regulär im Kino zu sehen. Zusammen mit Alan schaue ich mir Bradley Coopers gefeiertes Regiedebüt über den parallel verlaufenden Aufstieg und Fall zweier Musiker an. Man kann dem Film einen gewissen Charme nicht absprechen und die beiden Hauptrollen sind mit Cooper und Lady Gaga gut besetzt – vorallem Letztere spielt in ihrer ersten Filmrolle überraschend stark. Doch bei der Story fällt «A Star is Born» für mich durch – allzu geradlinig und konventionell erzählt, bleibt dieser Musikfilm so fad wie seine Songs.

Nachdem ich die letzten acht Stunden durchgängig Filme geschaut habe, genehmige ich mir eine kurze Pause, treffe meine Freundin zum Znacht und setze mich anschliessend ein letztes Mal ins Kino, wo «Mission: Impossible – Fallout» (3/5) auf dem Programm steht. Nein, der Film läuft nicht am Festival, aber ich nutze die Lücke in meinem Plan, um diesen Film endlich nachzuholen. Im schlechtesten Kino der Stadt und in unnötigem 3D schaue ich also, wie Tom Cruise einmal mehr die Welt rettet. Die Story ist natürlich völliger Müll und die wenigen Plottwists, die noch nicht in den Trailern verraten wurden, sind nicht der Rede wert. Zum Glück macht das Christopher McQuarrie mit rasanten Actionsequenzen und schicken Set Pieces wett. Der sechste Teil von Tom Cruise’ Agentenreihe ist zwar bei weitem kein Volltreffer, aber immerhin gute Unterhaltung bietet.

Owley am ZFF 2018: Double Feature

Tag 8: Donnerstag, 4. Oktober 2018

Der heutige Tag dürfte der kürzeste Tag des Festivals werden für mich: Nur zwei Filme stehen auf dem Programm: Einer am Morgen, einer am Abend. Dazwischen muss ich arbeiten, denn es gibt doch noch Projekte, die kann und will ich selbst am Zurich Film Festival nicht beiseiteschieben. Ich bin ein bisschen früher beim Kino, weshalb ich noch einen Kaffee trinke und langsam in den Tag starte.

Los geht es mit «Ballon» (5/5) von Michael Bully Herbig, der für mich einer der Filme des Festivals ist, auf den ich mich am Meisten freue. Nicht, dass ich jetzt ein grosser Bully-Fan wäre, aber das erste Drama des deutschen Regisseurs sieht wirklich gut aus, und irgendwie wünscht man es Bully ja, dass es ihm endlich gelingt, aus seiner Haut zu können. Und tatsächlich erweist sich «Ballon» als eines meiner Festival-Highlights. Basierend auf der wahren «Ballonflucht» zweier deutscher Familien aus der DDR liefert Bully einen nervenaufreibenden und berührenden Thriller, der unter die Haut geht.

Ursprünglich wollte ich an diese Pressevorführung diejenige zu «Whitney» anhängen – da die Vorstellungen aber nur 10 Minuten und zahlreiche Kilometer auseinander liegen, entschied ich mich dazu, «Whitney» stattdessen am Abend zu schauen. Als ich nach «Ballon» auf die Uhr blicke, stelle ich aber fest, dass der Film deutlich früher fertig war als gedacht und beschliesse, es doch noch mit der zweiten Pressevorstellung zu versuchen. Und tatsächlich: Kurz darauf sitze ich im Film und freue mich darüber, dass sich meine Tagesplanung dadurch nun wesentlich einfacher gestaltet.

«Whitney» (4/5) ist mein erster Dokumentarfilm des Festivals, ein Genre mit dem ich mich immer wieder schwertue. Ich schaue viel zu wenige Doks und weiss nach dem Film auch gar nicht so recht, ob ich jetzt einen guten oder einen schlechten Film gesehen habe. Kevin Macdonalds Film über Whitney Houston hat mir auf jeden Fall sehr gut gefallen. Es ist sehr berührend, den kometenhaften Aufstieg der Sängerin, aber auch ihren ebenso rasanten Fall zu beobachten. Dafür holt Macdonald zahlreiche Freunde und Familienmitglieder von Whitney Houston vor die Kamera und lässt sie Auskunft geben über das Leben dieser aussergewöhnlichen Musikerin.

Damit endet mein viertletzter Festivaltag auch schon, und ich freue mich auf meinen ersten filmfreien Nachmittag seit einer Weile.

Owley am ZFF 2018: Abgestumpft

Tag 7: Mittwoch, 3. Oktober 2018

Beinahe wäre es heute zu einem 6-Filme-Tag gekommen, doch letzten Endes habe ich mich zugunsten eines ein bisschen entspannteren Abends dagegen entschieden. Der Tag beginnt auch so genug früh, da ich diesmal von Luzern anreisen muss. Das lohnt sich nur bedingt, denn der erste Film des Tages, «Red Joan» (2/5) mit Judi Dench, ist ein ziemlicher Reinfall. Die britische Schauspielerin spielt in dem Film im Grunde die gleiche Rolle wie in «Philomena»: Auch Joan wird von ihrer Vergangenheit eingeholt, wird sie doch dafür angeklagt, während des Kalten Kriegs britische Geheimnisse an Russland weitergegeben zu haben. Auch eine solide (lies: nicht überragende) Darbietung von Judi Dench kann dieses seichte Drama, das seine Figuren selber nicht wirklich zu kennen scheint, retten.

Im direkten Anschluss steht «Kursk» (2/5) auf dem Programm, Thomas Vinterbergs Drama über den Untergang eines russischen U-Boots. Der Film wurde von Luc Bessons EuropaCorp produziert und entsprechend ist das Drama auch international besetzt, weshalb man sich darauf geeinigt hat, dass alle Russen im Film ein akzentbehaftetes Englisch reden. Das nagt an der Glaubwürdigkeit dieses auf wahren Tatsachen beruhenden Katastrophenfilms, der auch ansonsten nie wirklich in die Gänge kommt. Bis zum Schluss bleibt etwas zwischen uns und den Protagonisten und Vinterberg, der zuvor wiederholt bewiesen hat, dass er mit Figuren umzugehen weiss, tut sich mit diesem auf dem Papier stark besetzten Ensemble überraschend schwer. «Kursk» tut es seinem realen Vorbild gleich und ist eine Katastrophe.

Alle meine Filme heute laufen in Kinos, die in Gehdistanz zum Festivalzentrum liegen, was mir den Stress von Tram- und Zugfahren ersparen. So kann ich die Sonne ein bisschen geniessen, bevor mit «Monsters and Men» (4/5) mein nächstes Screening ansteht. Das Regiedebüt von Reinaldo Marcus Green erzählt vom Mord eines Polizisten an einem Schwarzen in New York, bzw. was diese Tat mit betroffenen Menschen macht. Mit seiner etwas holprigen Erzählweise ist «Monsters and Men» zwar kein perfekter Film, aber das charmant besetzte Drama besticht durch eine differenzierte Figurenzeichnung und authentische Inszenierung.

Auch der nächste Film stammt von einem Regiedebütanten, der aber alles andere als ein unbeschriebenes Blatt ist: Paul Dano. Bevor ich mich aber in sein Familiendrama «Wildlife» setze, schnappe ich mir noch einen Kaffee vom Vicafe-Stand beim Bellevue. Das ist eine meiner zwei ZFF-Traditionen: Die andere ist die Wurst vom Vorderen Sternen, die ich bereits am ersten Tag gegessen habe. Die Schlange vor dem Kaffee-Stand ist erwartungsgemäss ziemlich lang, ist ja schliesslich auch der beste Kafi der ganzen Stadt.

«Wildlife» (3/5) von Paul Dano ist ein interessantes Drama über eine Familie in den 60er-Jahren, deren heile Welt langsam auseinanderbricht. Der Film ist wunderschön gefilmt und überragend besetzt (Carey Mulligan, Jake Gyllenhaal, sowie der junge Ed Oxenbould), aber leider dann doch ein bisschen sehr schleppend erzählt. Was mir Dano mit «Wildlife» sagen wollte, weiss ich bis jetzt noch nicht so recht.

Mein letzter Film des Tages ist «Juliet, Naked» (3/5) von Jesse Peretz. Dabei handelt es sich ein bisschen um eine persönliche Angelegenheit, denn als grosser Nick Hornby-Fan mochte ich bislang alle seine Verfilmungen. Aus diesem Grund habe ich mir für den Film auch Tickets gekauft, um ihn sicher sehen zu können. Und ich habe es sogar geschafft, meine Freundin in ihre allererste ZFF-Vorstellung zu schleppen. Das Verdikt: «Juliet, Naked» ist okay. Die Geschichte über eine Frau, die sich ausgerechnet in den Lieblingsmusiker ihres Mannes verliebt war schon als Buch nicht mein Lieblingsstoff von Hornby, und auch die Verfilmung kann mich nicht vollends überzeugen. Der Charme eines «About a Boy» fehlt diesem Film, der mit Ethan Hawke, Rose Byrne und Chris O’Dowd gut besetzte Musikfilm ist nichtsdestotrotz eine kurzweilige Angelegenheit.

Immerhin: Der Film hat meiner Freundin deutlich besser gefallen als mir (4/5), und sie attestiert, dass ich nach 28 Filmen meine Sinne womöglich ohnehin abgestumpft habe und daher Filme nicht mehr richtig wahrnehmen könne. Vermutlich hat sie Recht.

Owley am ZFF 2018: 19 down

Tag 6: Dienstag, 2. Oktober 2018

Die erste Festivalhälfte ist bereits durch, 19 Filme habe ich hinter mir. Doch noch habe ich nicht genug, auch in der zweiten Halbzeit will ich mir noch so einige Filme anschauen. Alleine für heute habe ich mir fünf Filme vorgenommen. Los geht es mit dem schwarzweiss gefilmten «Cold War» (2/5) von Pawel Pawlikowski, der im Polen der Nachkriegszeit spielt und von der Liebesbeziehung zwischen einem Musiklehrer und einer Sängerin erzählt. Obschon es sich bei der Geschichte um eine Persönliche handelt (der Film basiert lose auf der Geschichte von Pawlikowskis Eltern) bleiben uns die Figuren fremd, und ihr Handeln irrational. So ist «Cold War» nicht mehr als eine weitere tragische Liebesgeschichte.

Rein rechnerisch sollte es eigentlich drinliegen, von dieser Pressevorführung am einen Ende der Stadt zur nächsten Vorstellung von «First Man» am anderen Ende der Stadt zu kommen, doch ein bisschen stressig wird es am Schluss dann doch. Im Gegensatz zum besser organisierten Vorjahr hat es das Zurich Film Festival in diesem Jahr wieder einmal geschafft, einen Pressevorführungs-Zeitplan aufzustellen, der so manche «Sophie’s Choice» bereithält – oder zumindest für viel Hektik und wenig Zeit zwischen den Filmen sorgt. Immerhin: Für «First Man» (4/5) reicht es dann doch rechtzeitig.

Damien Chazelle, der bisher alle seine Filme am Festival präsentiert hat, erzählt in seiner zweiten Zusammenarbeit mit Hauptdarsteller Ryan Gosling die Geschichte des ersten Mannes auf dem Mond. Wunderschön gefilmt und stark besetzt ist dieses Neil Armstrong-Biopic eine Wucht, selbst wenn die Story zwischendurch etwas gehetzt wirkt und die Nebenfiguren etwas gar blass bleiben. Doch nur schon für seine letzte Stunde ist «First Man» ein Muss für jeden Filmfan.

Ich nutze die kurze Pause bis zum nächsten Film für einen Unterbruch vom Festival und treffe mich mit Olivia zum Kaffee. Es tut gut, zur Abwechslung mal über etwas anderes als Filme reden zu können. So fühlt sich also ein normaler Alltag an. Habe ich fast schon vergessen.

Als Nächstes steht meine erste Reprise des Festivals an. Da Donald Sutherland zu Gast ist (bzw. war), zeigt das Filmpodium alte Filme mit ihm – heute ist «The Dirty Dozen» (3/5) dran, ein eher schlecht gealterter Kriegsfilm irgendwo zwischen «The Seven Samurai» und «Inglourious Basterds». Robert Aldrichs Film ist zwar unbeschwert inszeniert und mit Lee Marvin verfügt «The Dirty Dozen» auch über einen starken Protagonisten – nichtsdestotrotz ist der Film einen ganzen Akt zu lang geraten.

Als Nächstes muss ich ein Ticketproblem regeln. Ich habe für eine Vorstellung am nächsten Tag für meine Freundin und mich Tickets gekauft, die ich aber blöderweise zuhause vergessen habe. Und da gehe ich für die nächste Zeit auch gar nicht mehr hin. Mit guten Fotos der Tickets ausgerüstet begebe ich mich also zum Ticketdesk, in der Hoffnung, dass sie diese für mich noch einmal ausdrucken können. Doch einmal mehr zeigt sich das Festival von seiner komplizierten Seite. «Das können wir leider nicht tun», heisst es. Und so muss ich nun eine Lösung für dieses Problem finden. Ich beschliesse heute Abend den letzten Film sausen zu lassen um dafür nach Luzern zu fahren, und dort die Tickets zu holen.

Dadurch steht für mich nur noch ein Film an: «Loro» von Paolo Sorrentino, auf den ich mich schon seit Anfang des Festivals freue. Auf dem Weg ins Kino merke ich jedoch, dass ich am falschen Ort bin. Der Film läuft nicht wie ich dooferweise glaubte im Riffraff, sondern im Kino Arena am andern Ende der Stadt. Und ein Blick auf die Uhr verrät: Das schaffst du nicht mehr. Ich beschliesse, es doch zu versuchen und allenfalls halt die ersten zehn Minuten zu verpassen (der Film hat ja noch 140 weitere) und nerve mich ein bisschen über meine eigene Dummheit. Doch als ich zum Kino komme, verfliegt der Ärger schnell: Der Film läuft noch nicht. Zum ersten Mal dieses Jahr erwische ich eine Vorstellung, die nicht pünktlich beginnt, und ich könnte darüber nicht glücklicher sein.

Nicht völlig glücklich macht mich «Loro» (4/5). Paolo Sorrentinos wunderschön gefilmte Satire über einen gewissen ehemaligen italienischen Premierminister ist mit Toni Servillo (in einer Dopperolle) zwar top besetzt, kann aber seine 150 Minuten (die für die Ein-Film-Version von 210 Minuten heruntergekürzt wurden!) nicht rechtfertigen. Die Story ist schleppend und repetitiv – da helfen Sorrentino auch haufenweise nackte Frauen und Bunga Bunga-Spektakel nicht weiter.

Owley am ZFF 2018: Astrid, Puzzles und das ganze Leben


Tag 5: Montag, 1. Oktober 2018

Als ich mich zum Mittagessen mit meiner Schwester treffe, habe ich noch keinen einzigen Film gesehen. Ausschlafen konnte ich deswegen aber nicht, denn bereits am Morgen stand meine dritte Anmoderation des Festivals auf dem Programm. Zum letzten Mal für dieses Jahr durfte ich zudem ein Q+A mit einem Filmemacher leiten, was ich immer sehr spannend finde.

Erst am Nachmittag geht es für mich los mit dem Filmeschauen, denn dann steht meine erste Vorstellung des Tages an. Ich treffe auf dem Weg noch auf Sven und – ein bisschen überraschender – auch auf Olivia, mit der ich eine Weile die Wohnung geteilt habe. Alle haben wir dasselbe Ziel: Die Pressevorstellung von «Astrid» (3/5) von Pernille Fischer Christensen. Der Film erzählt vom Leben der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren und kann (mit wenigen Abstrichen) überzeugen. Die berührende Geschichte über Astrids erste Liebe und den Kampf um ihr Kind bettet die Regisseurin in eine künstliche aufgebauschte Rahmenhandlung ein, die die Authentizität des eigentlichen Films immer wieder untergräbt. Weniger Pathos hätte diesem Film besser getan.

Auf dem Weg zum nächsten Kino begegne ich Linda, die mir Angst macht. Angeblich wurde «Life Itself» den ich als Nächstes sehen werde, von der Kritik in der Luft zerrissen. Na danke. Und tatsächlich belausche ich beim Verlassen des Kinos auch einige Leute, die sich lautstark über den Film aufregen. Ich kann ihnen nicht beipflichten, denn ich habe gerade einen der interessantesten Filme des Festivals gesehen. «Life Itself» (5/5) ist ein kitschiges, durchgeknalltes und bisweilen überbordendes Machwerk, das wirkt, als wolle es in seinen schlappen zwei Stunden Laufzeit mal eben die Welt erklären. Dan Fogelmans Drama über Familie, Liebe und Tod will insgesamt mehr, als ihm guttut – doch alleine für den Mut, solch einen wahnsinnigen Film zu machen, muss man dieser Produktion Respekt zollen.

Bei meiner letzten Vorstellung der ersten Festivalhälfte ist das Kino ziemlich leer. Das liegt einerseits daran, dass sie am Montagabend ist, und andererseits am Film selber. Sowohl die Hauptdarsteller (Kelly Macdonald und Irrfan Khan) auch die Story (eine vom Alltag erdrückte Hausfrau entdeckt ihre Liebe für Puzzles) sind jetzt nicht gerade das, was die breite Masse erreicht. Darüber kann «Puzzle» (3/5) auch nicht wirklich hinwegtäuschen – die Figuren und ihre Probleme sind zu einfach gezeichnet, die Story zu geradlinig. Marc Turtletaubs Remake eines argentinischen Dramas ist ein bisweilen gar zu seichter Film.

Owley am ZFF 2018: Vom Pressepass zum Moderatorenpass

Tag 4: Sonntag, 30. September 2018

Ich informiere mich am Zurich Film Festival nur noch über die wenigsten Filme. Meist ist es ein Regisseur oder ein Schauspieler, wegen dem ich mir den Film ansehe. Manchmal ist es auch einfach eine Filmkultur, wie etwa das chinesische oder dänische Kino, dem ich viel abgewinnen kann und weshalb ich mich dann ins Kino setze. Und zugegebenermassen: Viel zu oft ist es einfach nur das Bild im Katalog, das mir gefällt. Im Fall von «Werk ohne Autor» (5/5) von Florian Henckel von Donnersmarck war es aber einfach die Tatsache, dass sich der Film im Rennen um den deutschen Oscar-Beitrag gegen so starke Konkurrenz durchgesetzt hat, dass ich neugierig wurde.

Als ich also um 9 Uhr und entsprechend unausgeschlafen im Kino sitze, lerne ich, warum es manchmal doch noch gut ist, sich ein bisschen zu informieren. Sven von Outnow verrät mir nämlich, dass der Film über drei Stunden dauert. Ich verarbeite diese Information gerade, als das Saallicht gedimmt wird und der Film beginnt. Was folgt, fühlt sich bei Weitem nicht nach drei Stunden an. Henckel von Donnersmarcks Film ist ein ebenso schonungsloses wie berührendes Werk, das einen vom ersten Augenblick in seinen Bann reisst. Der deutsche Regisseur erzählt in seinem mehrere Jahrzehnte umspannenden Drama von Carl, einem jungen Künstler, der sich auf der Suche nach sich selbst auch seinen Erinnerungen aus der Zeit des Nationalsozialismus stellen muss.

Tom Schilling besticht in der Hauptrolle und auch Sebastian Koch als eiskalter Nazi ist grossartig besetzt. Es ist jedoch dieser gemeinsame Sideplot, der den Film mit seinen Wendungen bisweilen ausbremst und ihn ein bisschen seine Glaubwürdigkeit kostet. «Werk ohne Autor» ist dann am besten, wenn es um Carl und seine Kunst geht. Ich, ich, ich, eben.

Als Nächstes tausche ich meinen Pressepass gegen einen Moderatorenpass. In diesem Jahr stehe ich nämlich auch noch auf der Bühne und moderiere zwei Filme an. Heute stehen gleich beide Anmoderationen inklusive Q+As mit den Filmemachern an. Ich habe mich schon damit abgefunden, dass ich vor solchen Dingen immer nervös bin, auch wenn ich eigentlich gut vorbereitet bin. Und sowieso: Ein kleines bisschen Bammel tut gut. Und zum Glück ist das Publikum angenehm, und meine Gäste (Oscar-Preisträger Alexandre Espigares bzw. Produzent Tom Carpelan) ebenfalls.

Es ist inzwischen schon Abend und ich wechsle wieder auf die Seite des Publikums. Noch zwei Filme stehen heute an, «Quien te Cantará», der im internationalen Wettbewerb läuft und die Komödie «The Old Man and the Gun» mit Robert Redford. «Quien te Cantará» (2/5) erzählt von einer spanischen Popsängerin, die ihr Gedächtnis verliert und mit der Hilfe eines Fans versucht, sich an ihre Songs zu erinnern. Die Idee klingt eigentlich charmant und es ist auch nicht alles misslungen an diesem Film – doch die schleppende und repetitive Erzählweise, sowie die eindimensionalen Figuren, die keine Identifikation zulassen, machen es schwer, den Film zu mögen.

«The Old Man and the Gun» (4/5) hingegen ist ein waschechter Crowdpleaser, und nicht nur, weil mit Robert Redford der Rentner-Publikumsmagnet schlechthin in der Hauptrolle zu sehen ist. David Lowerys Film erzählt die larger-than-life-Story von Forrest Tucker, eines älteren Gentlemans, der leidenschaftlich Banken ausraubt. Robert Redford spielt seine Rolle so charmant, dass ihm nicht nur alle Bankangestellten verfallen, sondern auch wir. Da verzeiht man dem Film auch gerne seine unnötigen Nebenfiguren und die etwas gar geradlinige Story.

Owley am ZFF 2018: Von Kino zu Kino

Tag 3: Samstag, 29. September 2018

Ich gehe aus diversen Gründen am Zurich Film Festival lieber an Pressevorführungen als in reguläre Vorstellungen: Ohne Werbung, Anmoderationen oder Q+As sind sie zeitlich viel einfacher zu managen, man bekommt als Journalist immer einen Platz und auch das Publikum ist deutlich entspannter. Darum freue ich mich, dass ich heute gleich vier Pressevorführungen schauen kann und mir so keine Sorgen um Überlängen machen muss.

Es ist zwar erst der dritte Tag, aber die Tatsache, dass ich jeden Tag früh aufstehe und spät schlafen gehe, macht sich bereits ein bisschen bemerkbar. Auch der erste Film steht schon früh an, und mit viel Skepsis begebe ich mich ins Kino. Eine Schweizer Komödie von Michael Steiner – jeder einzelne dieser drei Faktoren kann sowohl gut als auch schrecklich ausgehen. «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» (5/5) heisst der neue Film des Regisseurs und man kann beruhigt aufatmen: Dieses Mal ging es nicht schief.

Joel Basman spielt Mordechai «Motti» Wolkenbruch, der sich von seiner jüdischen Familie partout nicht unter die Haube kriegen lassen will. Als er sich dann auch noch in eine «Schickse» (also eine Nicht-Jüdin) verliebt, ist das Drama perfekt. Sicher, die Geschichte über die schwierige Abnabelung von seiner Familie ist keine Neue, aber Michael Steiner erzählt sie mit soviel Charme, dass man einfach nicht anders kann, als diesen Film zu mögen. Da stört es auch nicht, dass Noémie Schmidt als Westschweizer Schickse etwas gar gefangen in ihrem Rollentyp als unbeschwertes Traumgirl zu sein scheint. Es ist dem Film (und mit ihm Steiner) zu wünschen, dass der Erfolg auch an den Kinokassen nicht ausbleibt.

Etwas weniger unbeschwert geht es in «The Tale» (3/5) zu und her. Basierend auf ihren echten Erlebnissen erzählt Jennifer Fox von einer Filmemacherin, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, und dabei merkt, dass sie sich einen Missbrauch als Teenager ihr Leben lang schöngeredet hat. Ein wichtiges Thema, gerade heute, wo immer mehr Frauen, die erst Jahrzehnte später über Missbrauch reden, nicht ernst genommen werden. Erzählerisch kann man Jennifer Fox, die geschickt mit der Erinnerung und Wahrnehmung ihrer Protagonistin und damit sich selbst spielt, nur den Vorwurf machen, dass ihr Film deutlich zu lang geraten ist. Was «The Tale» für mich jedoch wirklich zu einer schwierigen Angelegenheit macht, ist die Hauptdarstellerin Laura Dern, die bis zum Schluss irgendwie recht blass bleibt – leider.

Eigentlich recht spontan ist der eindrückliche «Colette» (4/5) auf meinem Schirm gelandet, doch ich überbrücke die Lücke in meinen ZFF-Plan sehr gerne mit einem weiteren Film. Die Prämisse von Wash Westmorelands Film erinnert an «Big Eyes» oder «The Wife» – beides Filme über erdrückende Ehemänner, die den Ruhm für die Arbeit ihrer Frauen einheimsen. Das ist auch hier nicht anders: Die titelgebende Colette (Keira Knightley) ist eine junge Frau vom Land, die einen Schriftsteller in Paris heiratet. Als sie für ihren Mann einen Roman über ihre Erfahrungen, schreibt, landen die beiden einen Bestseller. Es folgen Fortsetzungen, stets geprägt von den eigenen Erfahrungen des Paares. Auf dem Cover prangt jedoch nur der Name ihres Mannes.

Es ist denn auch – man mag es eigentlich gar nicht hervorheben – ausgerechnet der Mann in «Colette», der herausragt. Dominic West spielt seine Figur so subversiv und so facettenreich, dass man zwar nie auf den Gedanken kommt ihn zu mögen, aber in ihm auch nicht den abscheulichen Bösewicht sieht, der er im Grunde ist. Und so kann man irgendwie nachvollziehen, dass sich Colette nicht von Anfang an gegen ihn stellt, sondern sich von ihm immer und immer wieder um den Finger wickeln lässt.

«Dead Pigs» (4/5) heisst mein nächster Film, ein chinesisches Drama über tote Schweine und fünf Menschen, deren Leben diese toten Schweine plötzlich auf den Kopf stellen. Ich weiss ehrlich gesagt nicht mehr, warum ich diesen Film damals als ich ihn ausgesucht habe, so reizvoll fand – aber er landete auf meiner Liste, und ich bin rückblickend sehr froh darum. Alles in «Dead Pigs» ist ein bunter, überdrehter Film, bei dem man nie so richtig weiss, ob das alles nicht doch viel realistischer ist, als wir glauben. Cathy Yans Langfilmdebüt zieht einen mit seinen schrägen Charakteren und seinem absurden, eigenartigen Humor sofort in seinen Bann.

Zum ersten Mal am Zurich Film Festival schaue ich mir einen Film im neuen Kino Kosmos an, das dieses Jahr neu mit dabei ist. Das heisst, genau ein Film wird dort gezeigt, und dies nur gerade zweimal. Das ist ein bisschen eine Verschwendung, denn das neue Kino wäre mit seiner angenehmen Einrichtung und den gut ausgerüsteten Sälen eine perfekte zusätzliche Location für das Festival – vielleicht in den kommenden Jahren? Für dieses Jahr bleibt es aber zunächst bei nur einem Film: «Roma» (5/5) von Alfonso Cuarón, der erste Netflix-Film ist, der am Festival gezeigt wird.

Von Trailer und Bildern wenig beeindruckt setze ich mich also in den Film. Als ich im Kino sitze, stelle ich fest, dass das die erste ZFF-Vorstellung des Jahres ist, die ich alleine besuche. Bei den vorherigen Festivalfilmen waren entweder befreundete Journalisten oder sonstige Freunde mit mir im Kino, doch nicht so diesmal. Und so erliege ich diesem schwarzweissen Meisterwerk des mexikanischen Regisseurs ganz allein – aber bin dabei alles andere als einsam. «Roma» ist eine Wucht. Der Film erzählt vom turbulenten Leben einer Familie aus der Mittelschicht im Mexiko der Siebziger-Jahre. Cuaróns nüchterner und ungeschönter Blick auf diesen kleinen Mikrokosmos und vorallem auf die starken Frauenfiguren, die diesen prägen, entlockt dem einfachen Alltag dieser Familie ungeahnte Schönheit. Für mich der absolute Höhepunkt des Festivals – und auch der meines Kinojahres.

Owley am ZFF 2018: Vier Award-Filme… und High-Life

Tag 2: Freitag, 28. September 2018

Nach einem lockeren ersten Tag verspricht der zweite Tag mehr Action – gleich fünf Filme sollen es heute werden. Den Anfang macht «Girl» (5/5) von Lukas Dhont, den ich (wie alles, eigentlich) in Cannes verpasst habe und den ich jetzt zum Glück nachholen kann. Der Debütfilm erzählt von der sechzehnjährigen Lara (Victor Polster), die gerade mitten in ihrer Hormonbehandlung steckt – denn Lara wurde im Körper eines Jungen geboren. Lara geht es gut: Ihre Familie unterstützt sie wo sie nur kann, ihre Freunde stehen hinter ihr, und auch ihre Ausbildung an einer renommierten Ballettschule steht unter einem guten Stern. Doch Laras heile Welt beginnt allmählich zu bröckeln. Behutsam erzählt Dhont von Unsicherheiten und Zweifeln im Leben eines jungen Transmenschen und kann dabei auf einen brillianten Hauptdarsteller zählen. Victor Polster wurde in Cannes mit dem Un Certain Regard Award für die beste Darbietung ausgezeichnet – man beachte dabei den Verzicht auf das Geschlecht in der Bezeichnung des Preises.

Eine Serie von vier eindrücklichen Filmen zum Festivalstart, das muss ja irgendwie schiefgehen, denke ich mir, als ich vom Sihlcity zum Bellevue tingle, wo die nächste Pressevorführung ansteht. «High Life» (1/5) ist der Film, der mich wieder daran erinnert, wie schlecht Kino sein kann. Claire Denis schickt Robert Pattinson als Häftling ins Weltall, wo er an einem Forschungsprojekt teilnehmen soll. Klingt eigentlich vielversprechend, ist es aber leider überhaupt nicht. Sichtlich überforderte Darsteller (mitunter auch eine als sexgeile Weltraumärztin gecastete Juliette Binoche) und ein wirres Drehbuch, in das sich solche pornotauglichen Stilblüten wie «You’re a shaman of sperm» oder «Fill me! Fill me!» verirrt haben, machen diesen Film zu einer echten Herausforderung.

Weiter geht es ohne Pause, und auch für meinen dritten Film des Tages wechsle ich das Kino – diesmal sitze ich im Riffraff, wo «Shoplifters» (4/5) ansteht. Hirokazu Kore-edas charmante Komödie über eine Familie von Ladendieben und Schlitzohren wurde in Cannes mit der Palme d’Or ausgezeichnet, und das völlig verdient. Man kann dem japanischen Filmemacher höchstens vorwerfen, dass er seiner herrlich abgedrehten Prämisse nicht bis zum Schluss treu bleibt. Das etwas gar brave Ende ist zwar erzählerisch konsequent, aber mit ihm büsst der Film auch ein bisschen von seiner märchenhaften Art ein.

Auf dem Weg zu «The Miseducation of Cameron Post» (4/5) treffe ich auf Alan, der wie ich auch für Maximum Cinema am Festival unterwegs ist, und dem ich in den letzten Tagen auffallend häufig über den Weg laufe. Wir haben noch ein bisschen Zeit für einen Kaffee und um ein bisschen über das Festival zu schreiben – doch aus Letzterem wird nichts da beide unsere Rechner gleichzeitig den Geist aufgeben. Dann eben nur Kaffee, auch gut.

«The Miseducation of Cameron Post» ist ein aufwühlender Film, der von einem lesbischen Teenagermädchen erzählt, das von seiner strenggläubigen Pflegemutter in ein christliches Camp geschickt wird. Dem emotionalen Missbrauch dieser Jugendlichen durch selbsternannte Christen zuzusehen, ist nur schwer erträglich – aber es ist gerade das, was dieses Coming-of-Age-Drama zu einem der stärkeren Vertreter seines Genres macht. Zu Recht wurde der Film am Sundance Festival auch mit dem Grossen Jurypreis bedacht.

Auch bei meinem letzten Film des Tages handelt es sich um einen Festivalgewinner – doch in diesem Fall kann ich das weniger nachvollziehen. «The Sisters Brothers» (3/5) hatte ich ursprünglich nicht auf meinem Radar, denn irgendwie habe ich mit Western in den vergangenen Jahren am Zurich Film Festival keine so guten Erfahrungen gemacht. Doch die guten Kritiken in Venedig sowie eine Einladung einer Freundin liessen mich dem Film dann doch noch eine Chance geben. Das englischsprachige Regiedebüt von Jacques Audiard erzählt von zwei Brüdern (John C. Reilly und Joaquin Phoenix), die Jagd auf einen Flüchtigen machen. Auch wenn die Prämisse vertraut klingt, schlägt «The Sisters Brothers» den ein oder anderen erzählerischen Haken und spielt mit den Konventionen des Genres. Das und ein überragender Soundtrack von Alexandre Desplat reichen letztendlich aber nicht, um diesen irgendwie unschlüssigen Film über das Mittelmass herauszuheben. Und an einem Tag, an dem ich auch «Shoplifters» und «Girl» gesehen habe, ist Mittelmass nun einmal nicht gut genug.

Owley am ZFF 2018: Ein ruckliger Start


Tag 1: Donnerstag, 27. September 2018

Zum bereits siebten Mal stürze ich mich dieses Jahr in den Trubel des Zurich Film Festival, und ich habe mir Einiges vorgenommen. Gleich 42 Filme sollen es heuer werden – ob ich mir am Ende auch wirklich alle ansehen werde, muss sich aber erst noch zeigen. Dieses Jahr bin ich vor dem Festivalbeginn ein bisschen nervöser als sonst, denn zum ersten Mal darf ich nicht nur im Publikum sitzen, sondern werde auch zwei Filme anmoderieren. Das ist für mich zwar nicht neu, aber jedes Festival hat bekanntlich seinen eigenen Vibe, und so bin ich vor diesem Debüt eben doch ein bisschen aufgeregt.

Doch zum Glück sitze ich am ersten Festivaltag nur im Publikum, und kann mich zudem gleich auf vier Filme freuen. Den Anfang macht die Pressevorführung von «Green Book» von Peter Farrelly (5/5), der am Abend auch gleich das Festival eröffnen wird. Der Hauptdarsteller, Viggo Mortensen wird dann über den Teppich laufen, einer von auffällig wenig grossen Namen in diesem Jahr. Vom anstehenden Rummel spürt man in der Pressevorführung aber noch herzlich wenig, statt Viggo sitzt neben mir nur mein guter alter Freund Cem, aber man nimmt nun mal was man kriegen kann.

«Green Book» spielt in den USA der 60er-Jahre und erzählt von einem schlitzohrigen Türsteher aus New York, der einen gefeierten schwarzen Jazzpianisten durch die Südstaaten chauffieren muss. Der Film ist ein klassischer Crowdpleaser, der eine hochaktuelle Thematik gekonnt als charmantes Buddymovie verpackt und nicht zuletzt nach seinem Toronto-Gewinn als veritabler Oscar-Kandidat gehandelt werden darf.

Bis zu meiner nächsten Vorstellung ist es noch ein bisschen hin, also gehe ich wie jedes Jahr am ersten ZFF-Tag ins Festivalzentrum und hole meinen Pass ab. Und jedes Jahr haben alle Journalisten zur gleichen Zeit die gleiche Idee, sodass das Festival, das jedes Jahr nur einen Ticketschalter öffnet, komplett überrannt wird. So stehe ich eine halbe Ewigkeit in der Schlange in diesem von der Herbstsonne zum Treibhaus verwandelten Glastempel, bevor mir mein Badge in die Hand gedrückt wird.

Mein akribischer 42-Filme-Plan bekommt einen ersten Dämpfer, als ich Film 3 und 4 des ersten Tages buchen möchte. Denn: Beide sind bereits komplett ausverkauft. Am meisten überrascht mich das bei «Der Himmel über Berlin» von Wim Wenders, der als Retrospektive gezeigt wird. Dass eine Retrospektive ausverkauft war, habe ich noch nie erlebt, doch es gibt für alles ein erstes Mal. Ich versuche, Tickets für andere Filme zu ergattern, doch auch daraus wird nichts.

So begebe ich mich entsprechend enttäuscht zu meiner zweiten Pressevorführung des Tages, die zugleich auch bereits mein letzter Film des Tages zu sein droht. Immerhin verspricht dieser Film gute Unterhaltung: «The Favourite» (4/5) ist der neueste Streich von Yorgos Lanthimos, dem griechischen Regisseur von «The Lobster» und «The Killing of a Sacred Deer». Der Film wurde in Venedig gefeiert und mit dem Grossen Jurypreis ausgezeichnet, doch meine Vorfreude hält sich in Grenzen: Rachel Weisz und Kostümfilm? Das ist eigentlich so überhaupt nicht meins.

Zum Glück werde ich dann doch sehr gut unterhalten. Mit zwei Stunden Laufzeit ist «The Favourite» etwas zu lang geraten und die eigentliche Story ist dann doch etwas gar plump – was den Film aber so herrlich macht, ist Lanthimos’ eigenwillige Inszenierung dieser eigentlich simplen Prämisse. Emma Stone spielt im Film eine Magd, die sich durch geschickte Intrigen in die Gunst der britischen Königin bringt – sehr zum Unmut des restlichen Hofs, allen voran ihrer von Rachel Weisz gespielten Nebenbuhlerin.

Nach dem Film gehe ich noch einmal zum Festivalzentrum zurück um zu schauen, ob nicht inzwischen doch noch ein Ticket für irgendeinen Film für mich rausspringt. Wenigstens für den dänischen Thriller «Den skyldige» von Gustav Möller hätte ich eigentlich sehr gerne ein Ticket, doch zuvor war dieser noch ausverkauft. Ich treffe vor dem Festivalzentrum unverhofft auf Sarah, die ich aus meiner Jugendzeit kenne und komplett aus den Augen verloren habe und die nun am Festival arbeitet.

Wir tauschen uns ein bisschen aus und merken, dass wir beide denselben Plan haben, nämlich doch noch einen Platz für den Film zu ergattern. Und tatsächlich: Beim zweiten Versuch klappt’s und nicht viel später sitzen wir im Film drin. «Den skyldige» (5/5) erzählt von einem Polizisten in der Notrufzentrale, der einen Anruf von einer entführten Frau erhält. Als der Anruf abbricht, ermittelt er auf eigene Faust. Gustav Möllers Regiedebüt ist ein stark besetztes und aufwühlendes Kammerspiel, das meinen ersten Festivaltag aller anfänglichen Tücken zum Trotz mehr als würdig abschliesst.